Bangkok/Phnom Penh – Inmitten eines internationalen Vorgehens gegen gigantische Betrugsnetzwerke in Südostasien droht Thailands Premierminister Anutin Charnvirakul ein Misstrauensantrag. Die Volkspartei wirft seiner Regierung vor, zu enge Verbindungen zu Kambodschas krimineller Elite zu dulden – und damit Teil eines Systems zu sein, das weltweit Milliardenbeträge abzweigt.
Der Vorsitzende der Volkspartei, Nattapong Ruangpanyawut, richtete am Mittwoch eine scharfe Warnung an den Premier: „Handeln Sie jetzt – oder stellen Sie sich einem Misstrauensantrag wegen des kambodschanischen Betrügerskandals.“ Hinter den Kulissen kursieren Namen hochrangiger Regierungsmitglieder, darunter sogar ein stellvertretender Premierminister, der verdächtigt wird, mit kambodschanischen Betrügerbossen in Verbindung zu stehen.
Internationaler Druck wächst
Während die USA und Südkorea ihre Ermittlungen gegen Kambodschas weitverzweigte Betrugsnetzwerke ausweiten, gerät Thailand als Nachbarland zunehmend ins Visier. Premierminister Anutin versprach am Donnerstag „volle Kooperation“ mit Washington und Seoul. Das thailändische Außenministerium betonte, man werde „eng mit internationalen Partnern“ zusammenarbeiten, um transnationale Online-Betrügereien und Menschenhandel zu bekämpfen.
Doch die Kritik aus dem Inland reißt nicht ab: Oppositionsparteien werfen der Regierung vor, zu zögerlich zu handeln und die wahren Machtstrukturen hinter den Syndikaten zu schützen. „Thailand ist das Nadelöhr dieser Netzwerke – ohne politische Deckung wären sie längst zerfallen“, sagte der Oppositionsabgeordnete Rangsiman Rome.
Der Skandal um Kambodschas Callcenter-Imperium
Auslöser der jüngsten Eskalation war der Tod des 22-jährigen Südkoreaners Park Min Ho, der in Kambodscha gefoltert und zur Arbeit in einem Callcenter gezwungen wurde. Der Fall löste weltweite Empörung aus. Südkorea entsandte eine Task Force nach Phnom Penh, um die Umstände zu untersuchen und die Rückführung Dutzender verschleppter Bürger zu fordern.
Zudem verhängten die USA und Großbritannien Sanktionen gegen die mächtige Prince Group Holdings – ein Konzern, der laut US-Justizministerium im Zentrum eines globalen Betrugssystems steht. Dessen Chef Chen Zhi soll über 14 Milliarden US-Dollar gewaschen haben und gilt als Vertrauter von Kambodschas Langzeitmachthaber Hun Sen und dessen Sohn, Premierminister Hun Manet.
Bangkok zwischen Kooperation und Krise
Anutin versucht derweil, den internationalen Druck abzufedern. Bei einem Treffen mit dem südkoreanischen Präsidenten Lee Jae-myung versprach er eine verstärkte Zusammenarbeit und warb gleichzeitig für ein geplantes Freihandelsabkommen. Kritiker sehen darin ein Ablenkungsmanöver: „Die Regierung lenkt von ihren eigenen Verbindungen ab“, sagte die Abgeordnete Thirat Rattanawanich.
Am Mittwoch gründete Anutin per Erlass ein neues Komitee zur Bekämpfung von Technologiekriminalität, das er selbst leitet. Doch Beobachter sprechen von einem „zahnlosen Tiger“. Der Abgeordnete Chutipong Pipoppinyo bezweifelte, dass das Gremium „die Milliardenverluste und das Leid der Opfer jemals eindämmen“ könne.
Misstrauensantrag in Vorbereitung
Hinter den Kulissen bereitet die Opposition offenbar bereits einen Misstrauensantrag gegen den Premierminister vor. Nattapong Ruangpanyawut erklärte, man werde „nicht drohen, sondern handeln“, sollte Anutin weiter schweigen. „Diese Regierung darf sich nicht hinter Beamten verstecken – politische Verantwortung ist nicht delegierbar“, sagte er.
Interne Berichte des Parlamentsausschusses für Staatssicherheit deuten darauf hin, dass thailändische Finanzkreise und kambodschanische Syndikate über verschachtelte Investmentkanäle miteinander verflochten sind. Experten schätzen, dass die Netzwerke jährlich Hunderte Milliarden Dollar bewegen – aus Betrug, Zwangsarbeit und Menschenhandel.
Ein regionaler Sturm zieht auf
Die wachsende Welle internationaler Sanktionen, diplomatischer Ermittlungen und Enthüllungen bringt Thailand in eine heikle Lage. Das Land, lange als stiller Vermittler in der Region bekannt, sieht sich nun mit Vorwürfen konfrontiert, selbst Teil des Problems zu sein.
„Südostasien erlebt gerade seinen größten Betrugsskandal seit Jahrzehnten“, sagt ein westlicher Diplomat in Bangkok. „Die Frage ist nicht mehr, ob Premier Anutin unter Druck gerät – sondern ob seine Regierung den Sturm übersteht.“
STIN // AI