Bangkok – Inmitten wachsender Skandale, politischer Intrigen und drohender Misstrauensvoten könnte Thailands Premierminister Anutin Charnvirakul das Parlament überraschend auflösen – um seine Regierung zu retten, bevor sie auseinanderbricht. In Bangkok verdichten sich die Anzeichen für vorgezogene Neuwahlen, die das politische Schicksal des Landes erneut auf den Kopf stellen könnten.

Nach seiner viel beachteten Rückkehr aus Washington und Peking, wo Anutin sowohl US-Präsident Donald Trump als auch Chinas Staatschef Xi Jinping traf, brodelt die Gerüchteküche. Kaum gelandet, kursierten Berichte über geheime Beratungen im Regierungssitz. „Die Regierung steht an allen Fronten unter Beschuss“, sagt ein Regierungsstratege. „Eine Auflösung wäre kein Rückzug – sondern ein taktischer Gegenschlag.“

Skandale, Ermittlungen, Misstrauen

Die Liste der Probleme ist lang – und wächst täglich. Ermittlungen gegen ein weit verzweigtes Betrugsnetzwerk mit Verbindungen nach Kambodscha, das Finanzströme nach Thailand lenkt, bringen das Innenministerium in Bedrängnis. Trotz gemeinsamer Aktionen mit den kambodschanischen Behörden bleiben die Netzwerke aktiv – und das Vertrauen in die Regierung schwindet.

Gleichzeitig erschüttern ethische Skandale im Senat die politische Landschaft. Mehr als 130 Senatoren reichten jüngst eine Beschwerde gegen die Reformpolitikerin Nantana Nantawaropas ein, nachdem sie Mitglieder der regierungstreuen „Blauen Linie“ scharf kritisiert hatte. Beobachter sprechen von politischer Einschüchterung – und von einem System, das seine Kritiker zum Schweigen bringen will.

Auch die Wahlkommission steht unter Beschuss. Sie hat es bislang versäumt, die Ergebnisse der Senatswahl 2024 vorzulegen. Involviert sind mehr als 200 Personen – darunter laut Berichten auch Premier Anutin selbst. Die Verzögerung heizt Spekulationen über politische Einflussnahme an.

Opposition wittert Chance

Für die Opposition ist die Krise ein Geschenk. Sowohl die Volkspartei als auch die neu formierte Pheu-Thai-Partei bereiten Misstrauensanträge vor. Pheu Thai hat mit der Ernennung von Julapun Amornvivat zum neuen Parteichef ein deutliches Signal gesetzt: Man will die Regierung frontal angreifen. „Diese Regierung hat die Kontrolle verloren“, heißt es aus Parteikreisen.

In Regierungskreisen dagegen wird hektisch gerechnet: Ein Misstrauensvotum könnte die fragile Koalition sprengen. Ein Scheitern in der Abstimmung wäre fatal – ein Sieg jedoch ebenso riskant, da er die Schwächen der Regierung tagelang in den Schlagzeilen halten würde. Deshalb wächst die Überzeugung, dass eine vorzeitige Parlamentsauflösung der einzige Ausweg ist.

Taktisches Kalkül

Thailands Verfassung erlaubt es dem Premier, das Parlament jederzeit aufzulösen – ein Machtinstrument, das frühere Regierungschefs wie Thaksin Shinawatra und Prayut Chan-o-cha strategisch genutzt haben. Ein schneller Wahlaufruf könnte der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen und Anutin erlauben, die Themen zu diktieren.

„Es geht darum, das Schlachtfeld selbst zu wählen“, sagt ein Berater aus dem Umfeld der Bhumjaithai-Partei. „Warum sich eine Woche lang von der Opposition demontieren lassen, wenn man die Agenda selbst bestimmen kann?“

Tatsächlich könnte ein frühzeitiger Urnengang der Bhumjaithai-Partei helfen, ihre populären Projekte – etwa die Entkriminalisierung von Cannabis und Investitionen in ländliche Infrastruktur – ins Zentrum der Debatte zu rücken, bevor neue Skandale die Oberhand gewinnen.

Ein riskanter Schachzug

Doch das Spiel ist gefährlich. Politikwissenschaftler Wanwichit Boonprong warnt: „Eine Auflösung könnte als Flucht gewertet werden – als Versuch, Verantwortung zu vermeiden.“ Eine solche Wahrnehmung könnte Anutins ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit weiter untergraben.

Dennoch sehen viele Beobachter darin einen letzten, verzweifelten Versuch, das politische Narrativ zu kontrollieren. Meinungsumfragen zeigen Bhumjaithai und Pheu Thai Kopf an Kopf – beide bei etwa 25 Prozent Zustimmung. In einem vorgezogenen Wahlkampf könnte die Regierungspartei auf ihre regionalen Hochburgen im Nordosten und in der südlichen Zentralebene setzen.

Das große Warten

Ob Anutin tatsächlich den entscheidenden Schritt wagt, hängt von der Dynamik der kommenden Wochen ab. Sollte die Opposition ihr Misstrauensvotum einreichen, könnte der Premier binnen Stunden reagieren. Eine Auflösung des Parlaments wäre dann mehr als ein Manöver – sie wäre der Versuch, Geschichte zu schreiben, bevor sie ihn einholt.

 

STIN // AI

Von stin

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