Als der malaysische Ingenieur Russell Ng mit seinem neuen Proton e.MAS 7 auf dem Heimweg war, tat sich vor ihm ein Szenario auf, das jedem Autofahrer den Puls hochtreibt: Die Reichweitenanzeige sprang auf null. Kein Saft mehr. Keine Ladestation in Sicht.
Doch Ng blieb gelassen.
„Keine große Sache“, sagt der 45-Jährige und zuckt mit den Schultern. Kurz vor seinem Wohnhaus in Johor Bahru sei der Akku leer gewesen – dort, wo eine Steckdose auf ihn wartete. „Ich kenne Leute, die sogar noch zehn Kilometer weitergekommen sind, obwohl der Akku bei null stand.“
Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Coolness unvorstellbar gewesen. In einer Zeit, in der Elektroautos (EVs) in Südostasien kaum mehr als eine technische Kuriosität waren, hätte der Gedanke an einen leeren Akku pure Panik ausgelöst.
Vom Nischenprodukt zum Massenphänomen
Heute jedoch sind Elektrofahrzeuge auf den Straßen von Kuala Lumpur, Bangkok oder Ho-Chi-Minh-Stadt allgegenwärtig. Der Markt boomt: 2024 war bereits jedes elfte verkaufte Auto in der ASEAN-Region elektrisch – ein Plus von fast 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Singapur führt das Rennen an: Fast jede zweite Neuzulassung ist dort inzwischen ein E-Auto. Auch Vietnam und Thailand holen auf.
Die Regierungen fördern die lokale Produktion mit Subventionen, Steuererleichterungen und ambitionierten Zielvorgaben. Der Grund ist klar: Arbeitsplätze sichern, Industriepolitik gestalten – und sich gegen die chinesische Übermacht behaupten.
China elektrisiert den Markt
Sieben von zehn in Südostasien verkauften Elektroautos stammen heute aus China. Marken wie BYD, Xpeng oder Zeekr dominieren die Showrooms. Ihre Erfolgsformel: Erfahrung, Preisvorteil – und ein unbarmherziger Wettbewerb.
In Thailand, dem größten E-Auto-Markt der Region, ist der Wandel besonders sichtbar. Chinesische Marken haben mehr als 80 Prozent Marktanteil erobert. Während BYD mit Preisnachlässen Kunden anlockt, müssen Traditionsmarken wie Honda oder Suzuki Werke schließen – Tausende verlieren ihren Job.
Der Aufstand der nationalen Marken
Doch die Region schlägt zurück.
In Malaysia setzt Proton, die stolze nationale Marke, alles auf Strom. Ihr SUV e.MAS 7 wurde zum meistverkauften Elektroauto des Landes – jeder vierte Stromer, der 2025 neu auf die Straße kam, trägt das Proton-Logo.
„Wir wollten auf ein Elektroauto umsteigen, aber uns war der Kundendienst wichtig“, sagt Bankmanager Stanley Hoong. „Proton bleibt uns erhalten – das gibt Sicherheit.“
Hinter Proton steht heute der chinesische Gigant Geely, der 49,9 Prozent der Marke hält. Eine Allianz, die funktioniert: Qualität und Marktanteil steigen, das Vertrauen kehrt zurück. In Perak baut Proton ein neues Werk, das bis zu 45.000 E-Fahrzeuge jährlich produzieren kann – und so zum Symbol eines neuen Selbstbewusstseins wird.
Auch Vietnam setzt auf nationale Stärke. Der E-Auto-Pionier VinFast, flankiert von Milliardär Pham Nhat Vuong und unterstützt vom Staat, hat den Heimatmarkt praktisch erobert: 87.000 von 91.500 verkauften Elektroautos im Jahr 2024 trugen das VinFast-Logo.
Die türkisfarbenen Taxis des hauseigenen Fahrdienstes Xanh SM prägen inzwischen das Straßenbild von Hanoi bis Saigon. Doch der Erfolg hat seinen Preis: Das Unternehmen verbrennt Milliarden – allein 2024 über 3 Milliarden US-Dollar Verlust.
„Wir sind an einem Wendepunkt“, betont VinFast-Finanzchefin Nguyen Thi Lan Anh. „Jetzt zählt Skaleneffekt und Kostendisziplin.“
Strom gegen Subventionen
Während China den Export von E-Autos forciert, versuchen ASEAN-Staaten, ihre heimische Industrie zu schützen.
Malaysia hat einen Mindestpreis von 100.000 Ringgit für importierte Stromer eingeführt. In Thailand erhalten nur Hersteller Steuervergünstigungen, die mehr produzieren als importieren. Und überall lautet die Bedingung: lokale Wertschöpfung.
„Wir wollen, dass Arbeitsplätze und Know-how hierbleiben“, sagt Malaysias Industrieminister Tengku Zafrul Aziz. „Sie dürfen mehr bauen – aber exportieren Sie auch.“
Die Rechnung geht teilweise auf. Milliardeninvestitionen fließen in neue Werke, etwa in Rayong oder Chonburi (Thailand) und Tanjung Malim (Malaysia). Doch Experten warnen: Ohne ein tragfähiges Ladeinfrastruktur-Netz bleibt der Boom fragil.
Die Angst vor der Leere
Denn trotz wachsender Akzeptanz bleibt die Reichweitenangst real. In Ländern mit Tausenden Inseln wie Indonesien sind Ladepunkte rar. Auf 17.500 Inseln kommen gerade einmal 3.772 öffentliche Ladestationen – in Singapur sind es fünfmal so viele.
Zudem ist Benzin in Malaysia mit umgerechnet 61 Cent pro Liter das billigste in Asien. Für viele ist Elektromobilität daher weniger eine ökologische als eine ökonomische Entscheidung.
Ein Wettlauf um die Zukunft
Proton-Chef Zhang Qiang ist dennoch überzeugt: „Elektrofahrzeuge sind unvermeidlich.“
Er rechnet damit, dass sich der Marktanteil in Malaysia verdreifachen wird, sobald Modelle unter 100.000 Ringgit angeboten werden.
Das Ziel ist klar: lokale Produktion, erschwingliche Preise – und eine neue industrielle Identität.
Doch während Proton und VinFast ihre Fabriken ausbauen, BYD seine Preise senkt und Peking neue Märkte sucht, bleibt eine Frage offen:
Wird Südostasien am Ende wirklich unabhängig – oder nur zur verlängerten Werkbank Chinas?
STIN // AI