Rohingyas werden immer verzweifelter

Die Schlepper haben sich davongemacht, nun treiben viele Boote vor den Küsten Thailands und Malaysias. Manche Flüchtlinge werden von Fischern gerettet, andere aufs Meer zurückgeschickt. Überlebende berichten von brutalen Übergriffen.

Was der Mann am Telefon schildert, klingt verzweifelt. Er sitzt mit vielen anderen Flüchtlingen in einem Boot auf der Straße von Malakka. In der Ferne können sie Inseln sehen, nachts die Lichter am Ufer. Doch der Diesel für den Bootsmotor ist alle, das rettende Land unerreichbar. Sie sind Strömung und Wetter praktisch ausgeliefert.

So beschreibt Chris Lewa ihr Gespräch mit den Passagieren auf einem der Boote, die vor den Küsten Malaysias und Indonesiens treiben. Sie arbeitet für die Nichtregierungsorganisation The Arakan Project, die Gruppe dokumentiert die Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya aus ihrem Heimatland Burma. Am Mittwoch hatte die Amerikanerin das letzte Mal Kontakt.

In Burma besitzen die Rohingya kaum Rechte, werden schikaniert und ausgegrenzt. Viele von ihnen haben sich daher zur Flucht über das Meer entschieden – und sind geradewegs in die Hände von Schlepperbanden geraten, die aus der Verzweiflung ihrer „Kunden“ ein Geschäft gemacht haben.

Ungezählte Boote sind unterwegs, die Lage eskaliert zusehends. „Die Menschen waren sehr schwach. Im Hintergrund hörte ich die Kinder weinen“, sagte Lewa der Nachrichtenagentur Irin. Die Schlepper, die den Passagieren versprochen hatten, sie nach Thailand zu bringen, seien bereits am Sonntag von Bord gegangen. Sie hätten 350 Menschen, darunter 84 Kinder und 50 Frauen, auf offener See ihrem Schicksal überlassen.

Die Flüchtlinge hätten sie über das thailändische Handynetz angerufen, sagte Lewa, sie müssten also in thailändischen Gewässern treiben. Oder zumindest in unmittelbarer Nähe: „Sie haben mehrmals versucht, Fischerboote heranzuwinken. Aber keins hat angehalten und geholfen.“

Bis zu 5500 Flüchtlinge aus Burma und Bangladesch werden auf den Booten vermutet. Ihr Schicksal ist ungewiss: Zwar retteten indonesische Fischer am Freitag rund 800 Menschen, nachdem ihr Boot unweit von Aceh zu sinken begann. Zeitgleich wies Indonesien jedoch andere Boote mit Hunderten Flüchtlingen ab. Wie auch Malaysia und Thailand geht Indonesien neuerdings härter gegen Migranten vor und schleppt manche Boote zurück auf das offene Meer.

Der Nachrichtenagentur Reuters gelang es Anfang der Woche, mit einem Mann an Bord eines der Schiffe zu telefonieren. „Die Menschen sind schwach, die ersten liegen bereits im Sterben. Unser Motor ist kaputt“, sagte der Flüchtling Muhammad Solim am Montag. Es gebe keinen Proviant mehr und nur noch sehr wenig Trinkwasser.

Am Mittwoch berichtete er von Aufruhr unter den etwa 350 Passagieren: Bis zu zehn Männer seien über Bord gesprungen und hätten versucht, zu einem in der Ferne sichtbaren Fischerboot zu schwimmen. Ob sie ihr Ziel erreicht haben, sagte er nicht. Nach dem Gespräch brach der Kontakt zu Solim ab.

„Pingpong mit menschlichem Leben“

Die Telefonate mit den auf See gefangenen Flüchtlingen belegen, was die Kehrtwende in der bislang laxen Flüchtlingspolitik vor allem Thailands und Malaysias für die Betroffenen bedeutet. Die Lage an Bord der teils heillos überfüllten Schiffe ist sehr ernst, sagte der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Joe Lowry. „Das ist Pingpong auf hoher See mit menschlichem Leben.“ Die Flüchtlinge würden wie Spielbälle hin und her geschickt. Ohne eine schnelle Lösung werde man bald Boote voller Leichen in der Andamanensee finden.

Überlebende, deren Boote bereits am Sonntag von indonesischen Fischern an Land geschleppt worden waren, berichten von Gewalt an Bord der Schmugglerschiffe. Drei Wochen lang hätten die thailändischen Schlepper die etwa 600 Flüchtlinge misshandelt und gedemütigt, erklärten Passagiere der Agentur Reuters. Eins der Opfer ist Mohammad Husein, er hat eine Platzwunde am Kopf und eine riesige Schwellung am Kinn davongetragen. Ein Crewmitglied habe ihn mit einer Eisenstange geschlagen, als er darum bat, sich erleichtern zu dürfen, so Husein. Andere Flüchtlinge seien mit heißem Wasser übergossen und ebenfalls verprügelt worden.

Nach diesen Übergriffen seien die Rohingyas zunächst erleichtert gewesen, als sich die Crew Mitte vergangener Woche mit einem Schnellboot abgesetzt hatte. Doch bald begriffen die Menschen, dass sie in größter Gefahr schwebten. „Die meiste Zeit mussten wir hocken. Um zu schlafen, mussten wir uns aneinanderlehnen“, sagte Umma Khair, die auf demselben Boot wie Husein war.

Eine andere Frau, Nurasafa, erinnerte sich nach ihrer Rettung durch die Fischer am Sonntag, dass sie unter der glühenden Sonne kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte: „Allah, Allah, Allah, Allah. Das war alles, was ich noch über die Lippen brachte.“

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