Reformen vor einer Neuwahl

In Thailand herrscht nur vordergründig Ruhe. Der Konflikt ist von der Strasse verschwunden, doch die Gräben in der Gesellschaft sind tiefer denn je. Die mundtot gemachten Rothemden harren im Einkaufszentrum aus und setzen auf künftige Wahlen.

Eine Aktivistin gegen eine übermächtige Militärregierung stellt man sich anders vor. Payao Akahat hockt im Karo-Hemd am Holztisch vor ihrem Laden und fertigt Blumensträusse an. Dieses Aussenquartier von Bangkok, wo knatternde Motorräder permanent für die Geräuschkulisse sorgen, wirkt so abseits der Politik, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die 49-Jährige hier regelmässig ungebetenen Besuch von Uniformierten erhält.

Flugblatt aus der Schublade

Thailands Gefängnisse kennt die Frau mit kurzem Haarschnitt mittlerweile von innen: Das letzte Mal sass Payao am 31. August hinter Gittern, allerdings nur für sechs Stunden: Wegen illegaler Verteilung von Flugblättern am Wochenendmarkt hatten sie, ihr Sohn und ein Bekannter gleich 300 Soldaten in Aufregung versetzt. In Thailand herrscht seit dem 20. Mai Kriegsrecht, und zumindest in Bangkok und in Chiang Mai wird sich daran so schnell nichts ändern.

Aus der Schublade kramt sie ein Exemplar des anstössigen Zettels hervor. Darauf stehen in thailändischer Schrift die Namen von fünf Personen, die laut Payao wegen Mordes an ihrer Tochter und fünf weiteren Personen anzuklagen wären. Unter den Bezichtigten sind auch der frühere Regierungschef Abhisit Vejjajiva, sein damaliger Stellvertreter Suthep Thaugsuban sowie drei Offiziere – einer von ihnen der damalige Armeechef Anupong Paochinda. Der vor kurzem vereidigte Ministerpräsident Thailands, General Prayuth Chan-ocha, war damals der zweithöchste Offizier im Königreich.

Wachsende Unzufriedenheit

Wer am 19. Mai 2010 in Bangkok die tödlichen Salven auf den Pathumwanaran-Tempel abgegeben hatte, denen auch die 25-jährige Kate zum Opfer fiel, ist bis heute nicht restlos geklärt. Die Tochter von Payao hatte sich als Krankenschwester auf der Seite der Rothemden um Verletzte gekümmert und angesichts des Gemetzels im Zentrum von Bangkok im vermeintlich sicheren Tempel Schutz gesucht.

Fest steht indessen, dass jene Tragödie eine bis zu jenem Zeitpunkt unpolitische Blumenverkäuferin in eine unbequeme Bürgerin verwandelt hat, die seit vier Jahren nur eines will: Aufklärung über die Bluttat, die passierte, nachdem sich die Anführer der Rothemden den vorstürmenden Soldaten bereits ergeben hatten. Sie will, dass die Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Payao Akahat, die sich selbst als «freie Rote» bezeichnet, also keiner Fraktion der nach dem Putsch gegen Thaksin aufkeimenden Oppositionsbewegung angehört, ist ein Beispiel für die wachsende politische Unzufriedenheit im Land. Vordergründig ist in Thailand seit der Ausrufung des Kriegsrechts und dem Putsch zwar wieder Ruhe eingekehrt. Soldaten sind nur an strategisch neuralgischen Punkten zu orten. Auch das öffentliche Leben nimmt kaum gestört seinen Lauf, und Vertreter von Unternehmen geben sich recht zuversichtlich, dass sich das Geschäftsklima wieder verbessert.

Grundsatzfragen

Doch unter dieser Oberfläche sieht es komplexer aus. Durch die Nation geht ein Riss, der nicht nur entlang wachsender Einkommensunterschiede, Herkunft oder Bildungshintergrund verläuft. Laut Beobachtern geht es zunehmend um die Grundsatzfrage, wieweit der nach der Asienkrise begonnene Demokratisierungsprozess fortgesetzt und im Königreich Chancengleichheit erreicht werden kann. Beide Zielvorstellungen stellen die Macht der traditionellen Elite infrage.

Der 2001 an die Macht gelangte und 2005 wiedergewählte Thaksin Shinawatra galt auch in Thailand nie als Vorzeigedemokrat. Aber er kam doch dank breitem Volksmehr in die Regierungsverantwortung und trug diese demokratische Ermächtigung gewissermassen in die Dörfer. Dass er seinen Reichtum dem Aufkommen der mobilen Telefonie verdankte, hat durchaus auch Symbolcharakter: Das Handy hat die mobile Kommunikation demokratisiert, was unweigerlich auch in der traditionell hierarchisch aufgebauten thailändischen Gesellschaft Veränderungen nach sich zog, bis hin zu Payao Akahat: Die ersten Schüsse, denen später ihre Tochter zum Opfer fallen sollte, hörte Payao angeblich übers Handy, als sie mit Kate sprach. Ob Blumenverkäuferin oder Reisbauer – heute sind die 67 Millionen Thailänder miteinander vernetzt.

«Reform» als Gummibegriff

Kein Tag vergeht, ohne dass Ministerpräsident Prayuth Chan-ocha Machenschaften anprangert, die in der Vergangenheit die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes blockiert hätten. Und er verspricht Remedur: Zwischen dem 17. September und dem 10. Oktober soll ein 250 Personen umfassender National Reform Council (NRC) ins Leben gerufen werden, der in elf Politikbereichen Reformvorschläge ausarbeiten soll. Die Stossrichtung dieser Reformen kennt man noch nicht. Dass westliche Staaten, in denen Macht grundsätzlich im Volk verankert ist und von diesem bloss ausgeliehen wird, dabei nicht seine Vorbilder sind, hat der neue Ministerpräsident aber bereits klargemacht. So scheint zunehmend fraglich, ob sich Thailand in Zukunft überhaupt von seinen mehr oder weniger autoritären Nachbarstaaten noch abheben will.

Der Ausdruck «Reform» hat sich in den vergangenen zehn Jahren in Thailand ohnehin als ziemlicher Gummibegriff erweisen. Er wird vom Volkskomitee für demokratische Reformen (PDRC) bemüht, das in städtischen Eliten verankert ist und anstelle des Parlaments einen Volksrat (People’s Council) einsetzen wollte. Dabei wird aber auch eine Rückbesinnung auf sogenannte Thai-Werte propagiert. Zu diesen gehört etwa die Erhaltung einer hierarchisch angelegten Gesellschaftsstruktur, an deren Spitze, pyramidengleich, nur wenige stehen.

Reformen strebt indessen auch die United Front of Democracy against Dictatorship (UDD) an; die UDD ist innerhalb der Bewegung der Rothemden zahlenmässig die mit Abstand wichtigste Gruppierung geblieben. Doch im Gegensatz zu «gelb gefärbten» Vorstellungen stehen in diesem Lager Forderungen wie «one man one vote» im Vordergrund. Letztlich geht es den Rothemden um das Aufbrechen von Machtstrukturen. Diese werden in Thailand in gewissen Kreisen als «quasifeudal» oder im lokalen Wortschatz als «Amart» bezeichnet. Damit meint man die einflussreichen Netzwerke, welche aus der militärischen Führung, der Justiz, Beratern der Monarchie sowie Teilen des Geldadels bestehen.

Verordnete Aussöhnung

Thailand, der Investitionsmagnet in Südostasien, laviert mit anderen Worten zwischen einem gesellschaftlich traditionellen Thai-Modell und einem Demokratisierungsprozess, wie er beispielsweise in Indonesien nach jahrzehntelanger Diktatur schliesslich Fuss gefasst hat. Mit dem Staatsstreich vom 22. Mai sind die beiden Lager zwar von der Strasse vertrieben worden. Doch die «Operation Aussöhnung» wird viel Zeit in Anspruch nehmen – und ihr Erfolg ist fraglich. Die Militärs haben die Weichen gestellt, doch wohin sie führen, ist völlig unklar.

Ein führender Exponent der Rothemden, der anonym bleiben will, glaubt nicht, dass der National Reform Council (NRC) dem Land die richtige Reformkur verleihen wird. In den Tagen nach dem Putsch habe man der Militärregierung signalisiert, dass eine Beteiligung an den NRC-Reformdiskussionen nicht infrage komme. Die Grundsatzforderung der roten Bewegung sei allen klar: ein echter Demokratisierungsprozess, der jedem Thai-Bürger eine Stimme gebe. Der Vertreter der Rothemden hat sich zusammen mit anderen zentralen Köpfen von ihnen auf ein oberes Stockwerk eines Shopping-Komplexes zurückgezogen, das fast durchgehend rot eingefärbt ist. Das riesige Warenhaus gehört einem Tycoon, der seinerzeit in der Regierung von Thaksin Shinawatra einen Ministerposten bekleidete. Die Männer und Frauen, die meist gesetzten Alters sind, werden vom Militär mehr oder weniger diskret überwacht. Versammlungen sind verboten, aber man hockt zum Kartenspiel, zum Essen oder vor dem Fernseher zusammen. Gelegentlich schaut man Eiskunstläufern zu, die ein Stockwerk tiefer ihre Runden drehen. Die Bewegung ist im Stadtbild unsichtbar geworden, und im Shoppingcenter fällt sie kaum auf; aber sie ist immer noch da. Ihre Devise heisst abwarten. In spätestens zwei Jahren, so die Überlegung der meist bloss auf Bewährung aus der Haft entlassenen «Roten», würden die Generäle die Macht wieder abgeben. Irgendwann werde es vielleicht wieder freie Wahlen geben. Und dann werde sich zeigen, ob sich traditionalistische oder echt demokratische Vorstellungen durchsetzten.

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berndgrimm
Gast
berndgrimm
17. September 2014 12:12 pm

emi_rambus: Die Rothemden” die auf die “Wahlen ohne Reformen ” warten, sind alles die, die groessere Brocken von den Kuchen abbekommen haben und noch mehr haben wollen.

So isses!
Und deshalb das unsägliche Democrazy Gezeter.
Democrazy ist, wenn man selbst terroristische Methoden
anwendet um die “Mehrheit” zu bekommen
um dann die zahlende Minderheit (besonders die nicht Reichen Steuerzahler)
auszunehmen und ihnen zum Dank die Hucke voll zu bomben!
Motto:Nur der grösste Gangster kann gewinnen!
Dabei hab ich noch nicht mal von Thaksins braunen Ganoven gesprochen!

  berndgrimm(Quote)  (Reply)

berndgrimm
Gast
berndgrimm
17. September 2014 11:58 am

Es ist das typische dumme Opfergequatsche von Thaksins Mittätern!
Die Leute die während der Abhisit Regierung nicht in der Lage waren
irgendeine sachliche Oppositionsarbeit zu machen.
Die Leute die während Sutheps 7 monatigen Volksmärschen
nicht in der Lage waren eine friedliche Gegendemonstration
zu veranstalten sondern nur ein Blutbad in Ramkhamhaeng
anrichteten und feige aus dem Hinterhalt Granaten und
Bomben auf Sutheps Demo und unbeteiligte Zuschauer
zu werfen die über 30 Tote forderten!
Die Leute die seit dem unsäglichen Ende “ihrer” Regierung
nicht in der Lage waren irgendeine sachliche Kritik
an der Militärdiktatur zu äussern sondern
ausschliesslich obskure Lügenmärchen verbreiteten!
Diese Leute die überhaupt nicht wissen was eine
Demokratie bedeutet und selbst auch nicht in
der Lage sind “demokratisch” zu handeln,
faseln weiterhin von Democrazy in der Hoffnung
dass Thaksin mit dem von uns geklauten Geld
wieder einen Grossbetrug veranstaltet
auf den sein Wahlvieh wieder hereinfällt!
Da sei Prayuth vor.
Eine Versöhnung mit diesen Kreaturen
wird es natürlich nicht geben.

emi_rambus
Gast
emi_rambus
17. September 2014 11:40 am

Die mundtot gemachten Rothemden harren im Einkaufszentrum aus und setzen auf künftige Wahlen.

WER sind denn diese “Rothemden” von denen da die Rede ist?
Die Reisbauern, die ausser Schulden nichts von dem 700 Mrd Verlusten aus dem Reis-Sche…ma abbekommen haben?
Die, die 2010 in den Tempel gefluechtet sind?
…. oder wer?
Zum Thema: Natuerlich muss es erst eine Reform (u.a. Wahlreform) geben, bevor gewaehlt wird, sonst haette man sich alles schenken koennen.
“Die Rothemden” die auf die “Wahlen ohne Reformen ” warten, sind alles die, die groessere Brocken von den Kuchen abbekommen haben und noch mehr haben wollen.

egon weiss
Gast
egon weiss
17. September 2014 11:11 am
Reply to  STIN

sie will ja nur eine anklage und diese anklage ist ja immer noch pendent also weiss ich nicht warum man sie fuer dieses flugblatt 6 tage eingesperrt hat.

berndgrimm
Gast
berndgrimm
17. September 2014 12:39 pm
Reply to  egon weiss

Das letzte Mal sass Payao am 31. August hinter Gittern, allerdings nur für sechs Stunden: